Fühlen sich ältere Arbeitnehmer/innen beruflich im Abseits

Ergebnisse einer BKK-Studie

  • Die Prognose für die nächsten Jahrzehnte ist für Deutschland und viele andere Industrienationen eindeutig: niedriges Geburtenniveau und steigende Lebenserwartung bestimmen die weitere Entwicklung. Dabei erscheint es geradezu wie ein Paradoxon, dass einerseits über eine längere Lebensarbeitszeit diskutiert wird und andererseits die Unternehmen vor allem ihre älteren Arbeitnehmer/innen entlassen - oft in der Meinung, dass diese im betrieblichen Alltag „nicht mehr mithalten können“. Hier treffen die gesamtgesellschaftlichen Interessen von Staat und betriebswirtschaftliche Überlegungen der Arbeitgeber aufeinander.

Der Landesverband der Betriebskrankenkassen in Hessen wollte es genau wissen und hat eine Studie durchgeführt, die Antworten vor allem auf folgende Fragen geben soll:

  • Sind ältere Beschäftigte wirklich nicht mehr so leistungsfähig wie jüngere?
  • Sind ältere Beschäftigte weniger flexibel und motiviert?
  • Sehen ältere Beschäftigte jüngere Kollegen als Konkurrenz an?

Die Befragung fand im zweiten Quartal 2002 bei insgesamt 1710 nordhessischen Versicherten der BKK-Herkules, der BKK Vita-Dyckerhoff & Partner und der BKK Werra-Meissner im Alter von 50 bis 65 Jahren statt. Die Stichprobenerhebung verlief anonym und wurde von einem externen Institut so ausgewertet, dass keine Rückschlüsse auf einzelne Personen möglich sind. Die Rücklaufquote lag bei fast 34% (= 576 auswertbare Fragebogen), was für eine Befragung eine überdurchschnittliche Beteiligung darstellt.

Vorurteile sind weitestgehend unbegründet

Um ein Ergebnis schon gleich vorweg zu nehmen, die allgemein gängigen Vorurteile gegenüber älteren Beschäftigten („geringe Leistungskraft“, „unflexibel“ etc.) lassen sich so nicht aufrechterhalten. Zwar stellten die Befragten innerhalb der letzten Jahre bei sich tendenziell eine ab­nehmende Arbeitsfähigkeit und Belastbarkeit fest, die eigene Einschät­zung des körperlichen Zustandes und der psychischen Gesundheit wurde jedoch von der Mehrheit „als gut bis mittel“ beschrieben. Waren Fehltage zu verzeichnen, wurden diese hauptsächlich auf Rücken- und Gelenk­beschwerden bzw. auf An­fälligkeit für grippale Infekte und Erkäl­tungen zurückgeführt (vgl. Grafik 1). Als häufigste Belastungen wurden Zeitdruck/hoher Arbeitsanfall (62%) und schnelles Arbeiten (58%) genannt.
Hier gab es 331 Nennungen (Mehrfachnennungen bei einer Person und Kategorie wurden nur einfach gezählt).

Welche Beschwerden waren Anlass für die Fehltage
Welche Beschwerden waren Anlass für die Fehltage  Foto: BKK Landesverband Hessen

Grafik 1: Welche Beschwerden waren Anlass für die Fehltage?

Die Älteren fühlen sich noch fit

Insgesamt ergibt sich ein sehr positives Bild bezüglich der Leistungsfähigkeit von Beschäf­tigten über 50 Jahren. Neue Arbeitsmethoden und -technologien sind nur für weniger als 20% „eher oder sehr häufig“ ein Problem. Mehr als die Hälfte der Befragten würde die Möglichkeit zu beruflicher Fort- und Weiterbildung auch häufig nutzen. Überraschend ebenso, dass die Frage, ob man mit jüngeren Kollegen gut aus komme, mit über 90% positiv beantwortet wurde - auch jüngere Vorgesetzte stellen kein Problem dar. Die Zufriedenheit mit der Arbeit, mit den Kollegen und Vorgesetzten fällt insgesamt sehr hoch aus (vgl. Grafik 2).

80,5% (Aufgaben, berufliche Tätigkeiten), 89,5% (Kollegen) bzw. 70,7% (Vorgesetzte) der Beschäftigten sind “sehr häufig“ oder “eher häufig“ zufrieden.

Die Angaben zum Handlungsspielraum fallen sehr unterschiedlich aus, was sicherlich auch an den verschiedenen Positionen liegt.

Arbeitszufriedenheit/Handlungsspielraum
Arbeitszufriedenheit/Handlungsspielraum  Foto: BKK Landesverband Hessen

Grafik 2: Arbeitszufriedenheit/Handlungsspielraum

Wo bleiben die Maßnahmen?

Von fast allen Befragten wurde bemängelt (89%), dass es in den Betrieben keine Maßnahmen speziell für ältere Arbeitnehmer gibt - außer vielleicht den staatlichen wie Kündigungsschutz und Altersteilzeit. Wünsche nach gesundheitsunterstützenden Maßnahmen (z.B. Physiotherapie), weniger körperlich schwere Arbeit, ergonomische Arbeitsplatzgestaltung, Einhaltung von Arbeitsschutzvor­schriften sowie Maßnahmen zur Erholung und zum Stressabbau blieben weitestgehend ungehört.

Diese Aussagen spiegeln die Wirklichkeit in deutschen Unternehmen sehr gut wider, nämlich ein geringes Interesse an älteren Beschäftigten. Mehr als die Hälfte der Unternehmen in Deutschland beschäftigt keine Mitarbeiter/innen mehr über 50 Jahre. Ältere Arbeitnehmer/innen werden in den Vorruhestand gedrängt, und Endvierziger gelten den meisten Firmen als „viel zu alt“, um eingestellt zu werden.

Hier ist ein Umdenken dringend erforderlich, denn oftmals wird übersehen, dass ältere Arbeitnehmer/innen ein wertvolles Potential darstellen. Unternehmen verlieren mit deren Ausscheiden aus dem Betrieb wichtige Kenntnisse über Prozesse und Abläufe sowie Lebenserfahrung.

Eine Lanze brechen für die Älteren

Zusätzlich zu ihrer beruflichen Erfahrung sind ältere Beschäftigte oft zuverlässiger, arbeiten mit einer höheren Genauigkeit, haben eine größere Verbundenheit zum Unternehmen (d.h. ein Wechsel aus Karrieregründen ist weniger wahrscheinlich als bei jüngeren Kollegen) und haben die Unternehmenskultur weitestgehend verinnerlicht. Dies sind alles Faktoren, die nicht einfach gelernt werden können, sondern im Laufe der Zeit reifen. Als weitere Vorteile der Beschäftigung Älterer sind zu nennen: entfallende Kosten für die Einarbeitung; der Mutterschafts- bzw. Erziehungsurlaub wird nicht mehr in Anspruch genommen und meistens ergeben sich auch weniger familiäre Probleme.
Anstatt die Deutschen also in den frühen Ruhestand zu drängen, müsste das Ziel eigentlich lauten, Erwerbstätige ab 50 Jahren für eine längere Beschäftigung zu qualifizieren und/oder altersgerechte Arbeitplätze zu schaffen. Länder wie z.B. die Schweiz und Norwegen, in denen der Anteil der über 55jährigen an der Erwerbstätigenquote bei 71% bzw. 67% liegt, können hier als Vorbilder dienen. Solche Maßnahmen würden zum einen die Sozialkassen entlasten und zum anderen den Betroffenen die Möglichkeit geben, die Erfordernisse der sich wandelnden Arbeitsanforderungen besser zu bewältigen, vor allem im Sinne eines „gesund älter werden am Arbeitsplatz“. Dabei geht es nicht darum, Ältere den Jüngeren im Unternehmen gegenüberzustellen, sondern vielmehr um den Aufbau wechselseitiger Lernbeziehungen, verbunden mit der entsprechenden beiderseitigen Wertschätzung.
Bekannte Maßnahmen zur Gestaltung altersheterogener Lern- und Arbeitsstrukturen sind u.a. Coaching, Mentoring, Tandems, Übernahme von Patenschaften, kollegiale Beratungen und intergenerative Teams oder Gesprächskreise mit Auszubildenden. Voraussetzung für solche Angebote sind ein dialogorientiertes Kommunikations- und Entscheidungsverhalten der Führungskräfte und eine entsprechende Förderung von Seiten der Verantwortlichen. Das Unternehmen von Morgen muss, wenn es den demographischen Wandel bewältigen will, eine Wissensaustauschkultur gestalten, die Lernprozesse ermöglicht und die Mitarbeiter/innen bei ihrer Entwicklung über alle Lebensphasen hinweg unterstützt.

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